“Es gibt auch eine Zeit danach” – Pfarrer Jürgen Josef Eckl über Ostern, Corona und die Zukunft

 

LNP 14.04.2020, LZ 15.04.2020

In der Geschichte mussten sich Christen weltweit immer wieder an Situationen anpassen, die sie auf die Probe stellten und auch immer wieder Verzicht und Abstand erforderten. Gottesdienste nur im kleinen Kreis, in Gedanken begleitet durch die Gläubigen, begleiten Christen seit dem ersten Osterfest. Auch Pandemien und Seuchen zwangen sie immer wieder dazu sich anzupassen – auch im Jahr 2020. In diesem Jahr feierte die katholische Kirche weltweit Ostern anders als die friedlichen, „gesunden“ Jahre zuvor – einsamer und stiller. „Ostern hängt aber nicht an den aktuellen Umständen“, sagte Pfarrer Jürgen Josef Eckl, der sich für Ostern – für die Gläubigen der Pfarreiengemeinschaft – einiges hat einfallen lassen: Österliche Altäre für Zuhause, samt Osterwasser und Osterkerzen, die Auferstehungsfeier und das Hochfest im Livestream und in der Mediathek zum Nachholen. Die Erstkommunion-Kinder schrieben den Kursana-Bewohnern Briefe, ein kleines „Ostergeschenk“ für die Senioren. Gläubige, die an dem Osterfest teilnehmen mochten, konnten das und können das immer noch – wenn auch in diesem Jahr nur mit digitaler Unterstützung. „Ostern feiern wir, weil Christus auferstanden ist und uns die Perspektive schenkt alles Leid, alle Not, Trauer, Krankheit, Angst, ja selbst den Tod hinter uns zu lassen“, sagte er. „Seit dem ersten Ostermorgen hat unser Leben ein Ziel. Die Freude darüber kann mir kein Virus nehmen. Ostern ist heuer anders, aber wir feiern es genauso wie jedes Jahr; wir bereiten die ganze Karwoche die Pfarrkirche vor für die jeweiligen Liturgien. Ich freue mich – trotz allem.“

Vor dem Osterfest kommt die Fastenzeit, in diesem Jahr war diese anders und weitreichender als die letzten Jahre. Alle waren aufgerufen zu Verzichten – vor allem auf Gesellschaft. Die Fastenzeit der Christen dauert normalerweise 40 Tage ab Aschermittwoch, doch in diesem Jahr könnte sich die Zeit des Verzichts ausweiten. „Ich fürchte, dass es mit den 40 Tagen nicht getan ist“, meinte Pfarrer Eckl. „Diese Krise wird uns in ihren – auch wirtschaftlichen – Auswirkungen noch viel länger beschäftigen.“ Im Evangelium nach Markus wird von „Jesus Versuchung“ in der Wüste erzählt. „Wir haben in dieser Fastenzeit tatsächlich eine Wüstenzeit durchlebt, eine Zeit voller Entbehrungen und teils Einsamkeit. Ich habe mich in den letzten Wochen sehr oft an das Evangelium erinnert gefühlt, das am Anfang jeder Fastenzeit steht: Die 40 Tage Jesu in der Wüste. Und das Entscheidende ist, glaube ich, dass diese Zeit für Jesus eine Zeit der Entscheidung war.“ Hier ließen sich Parallelen ziehen: „ Krise kommt vom griechischen Wort „krisis“ und bedeutet Entscheidung. Vielleicht kann diese Wüstenzeit für uns auch eine Zeit der Entscheidung sein: für das wirklich Wesentliche im Leben, für ein Umdenken im Miteinander und unserem Verhältnis zur Schöpfung; kurz gesagt: um unseren richtigen Platz in der Welt wiederzufinden.“ Die Krise erschreckt die Menschen, aber sie zeigt auch das Wesentliche auf. „Da schreckt uns die Einsicht der Verletzlichkeit des Lebens auf. Da merkt man plötzlich, dass unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum, schrankenlose Globalisierung, ein noch nie dagewesenes Tempo in der technischen Entwicklung nicht das Maß aller Dinge sind. Solche Krisen – meine Großeltern hätten wahrscheinlich gesagt: „so eine schlechte Zeit“ – werfen uns zurück auf uns selbst und unseren Umgang miteinander.“

Aber auch das Positive darf dabei nicht aus den Augen verloren werden, vor allem in einer „Krisen-Zeit“. „Ich sehe da wirklich einen positiven Aspekt: Unsere Gesellschaft hat in letzter Zeit kein gutes Bild abgegeben. Was wurde da nicht besserwisserisch kritisiert und ideologisch diskutiert. Jammern und nörgeln auf höchstem Niveau. Vielfach ist aus einer Nehmermentalität in der augenblicklichen Krise eine Kultur des Gebens geworden. Menschen setzen sich wieder füreinander ein, helfen sich. Ich hoffe, dass wir das nach Corona beibehalten können, und nicht in das alte Muster „alle sind wichtig, aber ich am Wichtigsten“ zurückfallen.“

Das Osterfest, das höchste Fest im Jahresreigen, wird normalerweise gemeinsam auch in der Pfarreiengemeinschaft groß gefeiert, doch die Kirchentüren mussten geschlossen bleiben, nicht nur für die Gläubigen. Auch am Altar wird „in kleiner Besetzung“ gefeier. „Was mir jetzt schon langsam fehlt, das sind meine Ministranten“, sagte er schon vor Ostern. „Gerade an den Kartagen und an Ostern ist der Altarraum sonst voll mit unseren Minis. Heuer sitz’ ich da allein. Schon ein seltsames Gefühl.“ „Sine populo“ wurden die Gottesdienste gefeiert, auch die zu Ostern. Schon bei den ersten Gottesdiensten im März, die Pfarrer Jürgen Josef Eckl allein feiern musste, war das seltsam für ihn. „Vorher habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht“, erzählte er. „Aber wenn man dann am Altar steht, in die leere Kirche blickt und niemand antwortet – nicht mit Worten und nicht mit Blicken – dann war das anfangs schon ein recht beklemmendes Gefühl.“ Die Intentionen der Messfeiern in der Karwoche sind merklich anders, als die letzten Jahre. „Alle(n), die die Angst vor der Pandemie lähmt“ wurde gedacht, „denen eine wirtschaftliche Krise oder Arbeitslosigkeit droht“. „Das hat zwei Gründe:“, erklärte Pfarrer Eckl. „Zum einen legen viele Gläubige großen Wert darauf, an den Gottesdiensten, die für ihre Angehörigen gefeiert werden, auch teilnehmen zu können“, fuhr er fort. „Deshalb haben wir beschlossen, die Intentionen zu gegebener Zeit nachzuholen. Ostern ist eine Ausnahme, weil hier wiederum viele wünschen, dass gerade zum Osterfest der Verstorbenen in der Eucharistiefeier gedacht wird.“ Natürlich spielt auch die Situation mit rein – die sogenannte „Corona-Krise“ ist tief in den Gedanken der Menschen verankert. „Zum anderen sollten wir, glaube ich, unser Gebet jetzt auch konzentrieren auf die Pandemie und die Menschen besonders ins Gebet nehmen, die unter der gegenwärtigen Krise besonders leiden oder Kraft und Segen brauchen für ihre Lage oder ihren Dienst.“

Viele Menschen finden in ihrem Glauben Stärke, Trost und Resilienz. Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. „Fürchte dich nicht!“ ist die häufigste Ermutigung der Bibel. „Wer glaubt, braucht nie Angst zu haben! – Und das ist keine Floskel, sondern das ist meine tiefe Überzeugung“, sagte Pfarrer Eckl. „Mit der Kraft des Glaubens, die leider vielen Menschen auch verlorengegangen ist, mit Gott an unserer Seite, können wir furchtlos oder zumindest hoffnungsvoll in jede Zukunft blicken.“ Gerade das Osterfest ist der Inbegriff der Hoffnung. „Das feiern wir ja gerade jetzt an Ostern: Ostern ist ein Fest gegen die Angst. Ostern ist ein Fest voller Lebensfreude“, fuhr er fort. „Natürlich müssen wir achtsam sein. Keiner sollte die Pandemie auf die leichte Schulter nehmen. Dazu ist die Lage zu ernst. Jeder trägt Verantwortung für sich und für die anderen. Aber ich muss mir dadurch nicht die Glaubensfreude und die Hoffnung rauben lassen.“

In den Heiligen Schriften findet sich nicht nur Trost – sondern auch Vergleiche mit der derzeitigen Situation. „Der Heilige Vater hat bei seinem beeindruckenden Gebet auf dem menschenleeren Petersplatz am 27. März die Situation mit einem Seesturm verglichen“, sagte Pfarrer Eckl. „Das Evangelium schildert wie die Jünger in ihrem Schiffchen von einem heftigen Sturm überrascht werden und zu kentern drohen; die Wellen brechen über ihnen zusammen, das Boot läuft voll, sie werden auf dem tosenden See hin- und hergeworfen. Ich glaube das beschreibt die Situation und Gefühle vieler Menschen heute.“ Das gilt universell – viele Menschen fühlen sich schutzlos derzeit. „Viele haben Angst, manche leiden an dieser Krankheit, Angehörige stehen hilflos daneben; manche sehen auch in der Folge der Krise erst den großen Sturm auf uns zukommen“, sagt Pfarrer Eckl und zitiert Papst Franziskus: „Ich glaube, Papst Franziskus hat das auf den Punkt gebracht: „Wir sind mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden. Jetzt, auf dem stürmischen Meer, bitten wir dich: Wach auf, Herr!“

Für die katholische Kirche ist es eine Herausforderungen – aber auch eine Chance. „Ich denke schon, dass viele Menschen sich in dieser Zeit auch neu mit ihrem Glauben auseinandersetzen, weil man merkt, dass wir eben nicht alles selbst in der Hand haben.“ Gottesdienste ohne Volk, Übertragungen von Messfeiern – das ist jedoch keine Dauerlösung. „Dass das kirchliche Leben jetzt auf die eigenen vier Wände beschränkt ist, kann kein Dauerzustand sein, denn Kirche und Glaube sind keine Privatsache, sondern leben von der Gemeinschaft.“ Doch Pfarrer Eckl sieht mögliches Gutes an der Situation. „Andererseits wäre es natürlich ein Segen, wenn in den Familien auch das Gebet, eine christliche Sonntagskultur, das Gespräch über den Glauben eine Stärkung erleben würde. Die Weltkirche ist ja am Anfang aus kleinen Hauskirchen heraus gewachsen. Vielleicht hat das Ganze hier auch ein verstecktes Potential.“

Die Situation um die „Selbstisolation“ der Menschen fordert die Pfarreiengemeinschaft und Pfarrer Eckl derzeit, der andere Wege gehen muss als bisher. „Unser Fokus richtet sich natürlich sehr darauf wie wir die Menschen trotz der verordneten Isolation erreichen können – liturgisch, aber auch pastoral und nicht zuletzt caritativ“, erklärte er. „Gottesdienste zu übertragen ist das eine; aber Kirche lebt aus Gemeinschaft, aus der persönlichen Begegnung und Zuwendung. Ich kann nicht über das Internet taufen oder am Telefon die Krankensalbung spenden.“ Die neuen Medien sind dabei eine Chance die breite Masse an Gläubigen zu erreichen, aber auch hier gilt: es ist kein Allheilmittel. „Viele Menschen, gerade ältere, haben auch gar nicht die technischen Möglichkeiten, neue Medien zu nutzen. Da muss man, glaube ich, schon aufpassen, dass niemand vergessen wird.“ Auch in der Seelsorge ist er gefordert, denn die „Isolation“ der Menschen mündet in sozialer Leere. „Die Einsamkeit, mit der viele Menschen – auch jüngere – plötzlich konfrontiert werden, und die man nicht mit ‘Social Media’ kompensieren kann, dürfen wir auch nicht aus den Augen verlieren.
Das gilt im Besonderen auch für die Bedürftigen.“ Die Corona-Pandemie stellt beispielsweise die Tafeln in Deutschland vor große Herausforderungen, die Ehrenamtlichen sind meist der sogenannten „Risiko-Gruppe“ angehörig – und können damit keinen Dienst leisten. Die Tafeln bleiben geschlossen. „Wir merken in diesen Tagen schon, dass Menschen verstärkt Hilfe brauchen, die wir auch gerne geben – finanziell, aber auch durch konkrete Hilfsangebote“, erzählte er weiter. „Letzte Woche war ich selbst für eine ältere Frau einkaufen, die sich das momentan selbst nicht zutraut. Das sind ganz einfache Dinge, die wirklich jeder leisten kann.“

Es gilt auch mit Mut in die Zukunft zu schauen. „Es gibt auch eine Zeit nach Corona“, sagt Pfarrer Eckl. „Wir gehen jetzt durch ein Tal, in dem wir auf vieles verzichten müssen, in dem wir in eine ungewisse Zukunft blicken. Aber dieses Tal, in dem wir begleitet sind durch den Höchsten, wird ein Ende haben. Und dann hoffe ich, dass wir das gemeinsam Durchlebte und Überstandene nicht einfach abhaken, sondern alle miteinander in irgendeiner Weise ein großes Fest feiern – ob hier in Pilsting oder indem wir die Altötting-Wallfahrt nachholen, um uns gegenseitig dann wieder buchstäblich dankbar in die Arme nehmen zu können.“

(Text/Interview/Fotos: S. Melis)

 

 

 

 

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